ESSAY AUS STEREO 3/2003
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u n s ic h tb a r e
Es war einmal und wird immer sein: Mitten imWohn-
zimmervon STEREO-Autor Cornelius Klingborn
liegt ein unsichtbares Land. Folgen wir ihm auf ei-
ne magische Entdeckungsreise dorthin und stellen
fest: Wir sind ja schon längst drin
D
as Land ist kein Land wie jedes an-
dere. Es ändert stetig sein Erschei-
nen. Die Zeit kann hier vorwärts
und rückwärts laufen. Es mag eben noch
steinalt und gleich darauf blutjung sein.
Dort wird nur geboren, nicht gestorben. Es
ist nicht sicht-, sondern nur hörbar. Frei-
lich, man kann es entdecken, fast so wie an-
dere Länder auch. Wie man dorthin ge-
langt, ist jedoch schwierig zu sagen. Eigent-
lich kann es überall sein. Bei mir zum Bei-
spiel beginnt es exakt zwischen den Laut-
sprechern meiner Anlage, die die Eckpfos-
ten seiner imaginären Grenze bilden. Zu se-
hen ist mit bloßem Auge nicht viel: Eine
Bank mit Pflanzen darauf, eine Lampe, die
mit
Raufaser
tapezierte,
schmucklose
Wand. Die perfekte Tarnung für das eigent-
liche, geheimnisvolle Land, das hier sein
Terrain hat.
Das Land ersteht, sobald Töne aus den
Boxen erklingen. Dann öffnet sich ein riesi-
ges Tor oder vielleicht auch nur ein Guck-
loch zu etwas, das ein realer oder auch ein
innerer Ort sein kann, aus Holz und Stein
oderauch Gedanken und Stimmungen ge-
baut. Meist trifft alles zugleich zu, und man
sieht sich etwas Unbekanntem gegenüber,
das reizt und lockt. Jedenfalls, wenn man
diesen Platz des an Plätzen unendlich rei-
chen Landes noch nie zuvor besucht hat.
Andere Orte sind einem umso geläufiger.
Man kehrt immer, wenn man das Bedürfnis
verspürt, zu ihnen zurück. Mit dem glückli-
chen Wiedersehen und der sicheren Ver-
trautheit der Menschen, die stets denselben
Urlaubsort ansteuern.
Die Plätze sind auf Schallplatten, CDs,
Cassetten, Tonbändern, MiniDiscs, MP3-
Playern und in Rundfunkarchiven aufbe-
wahrt. Sie können grau und trist oder auch
strahlend hell sein, aus feinster Gaze ge-
sponnen oder aus billigem Plastik zusam-
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30 JAHRE STEREO
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